Wilhelm-Leuschner-Straße

Als alte „Geleitstraße“, und damit wichtige Handelsstraße, fungierte in Griesheim jahrhundertelang die Nord-Süd-Achse der Oberndorfer Straße. Dort wurde auch das Rathaus errichtet. Entlang dieses Weges hat sich das Dorf vergrößert.

Nach Darmstadt führten die unbefestigten Kieswege Bessunger Weg und Darmstädter Weg. Über die Hintergasse verlief die Straße weiter nach Westen und mündete kurz vor Darmstadt auf die Straße aus Büttelborn. Der Zugang nach Darmstadt erfolgte von Westen über das Neutor auf den heutigen Ernst-Ludwig-Platz.

1695 begann die Stadterweiterung Darmstadts vom Schloss nach Westen. Ein großer Platz, der heutige Luisenplatz, sollte den Abschluss bilden. Diese „Neue Vorstadt“ erhielt eine auf die Westfassade des Schlosses zulaufende gerade Prachtstraße, die heutige obere Rheinstraße. Im Zuge des Ausbaus von Jagdschneisen durch die Waldungen im 18. Jahrhundert wurde dieser Weg kerzengerade fortgeführt.

Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte Georg Moller nach seinem klassizistischen Plan der „Mollerstadt“ Darmstadt nach Westen weiter.

Zur Festsetzung exakter Grundsteuern wurde eine Landkartierung notwendig. Deshalb begann man 1808 im Großherzogtum mit der Vermessung des Landes. Für die Kartierung braucht man ein Triangulationssystem, und dafür eine Basislinie. Die Punkte dieser Basislinie legten die großherzoglichen Beamten im Oktober 1808 vor dem Westportal des Schlosses (1969 neu mit einer Messingplatte gemarkt) und in Griesheim (heute überbaut durch das Wohnhaus Wilhelm-Leuschner-Str. 9) fest. Die Kirchturmspitzen der Darmstädter Stadtkirche und der Griesheimer Kirche bildeten die Triangulationspunkte. Damit wurde eine gerade Linie, ausgehend vom Darmstädter Residenzschloss, markiert und ab 1837 folgte der Ausbau einer Straße entlang dieser Linie. Die innerörtliche West-Ost-Verbindung hieß von ca. 1900 bis 1945 „Neue Darmstädter Straße“ in Unterscheidung zur nördlich parallel liegenden alten „Darmstädter Straße“, heute „Wilhelm-Leuschner-Straße“.

Der Bau der Dampfstraßenbahn 1886 entlang der Linie begünstigte die Entwicklung des Ortes nach Darmstadt hin. Bis zum Entstehen der Neubaugebiete im Süden und des Gewerbegebietes im Norden in den Jahren um 2000 war diese Ost-West-Ausrichtung deutlich zu erkennen.

Alte Fotos zeigen, dass die Straße vor 100 Jahren noch schmal und außerhalb des Ortes nicht gepflastert war. Aber auch Griesheim wuchs und der Verkehr nahm zu. Zählte um 1800 Griesheim kaum 3000 Einwohner, so waren es Ende der 1960er Jahre schon mehr als 15 000.

Mit der Einweihung des Bauabschnitts Mainz-Darmstadt der neuen Autobahn (A 67) von Mainz nach Heidelberg am 30. Juni 1965 wurde die alte Landesstraße durch Griesheim zur Bundesstraße 26 aufgewertet. Um 1970 nahm der Verkehr stark zu, was zunächst zu einer Verbreiterung der Wilhelm-Leuschner-Straße westlich der Hofmannstraße führte. Im Osten gestaltete sich die Verbreiterung der Fahrbahn aufgrund der dichten Bebauung schwieriger. Ab 1968 schuf die Stadtverwaltung durch den Tausch von Grundstücken zwischen den Eigentümern und der Stadt entlang der nördlichen Wilhelm-Leuschner-Straße die Voraussetzung für eine Neugestaltung der Innenstadt und schrieb 1974 einen Wettbewerb aus, den das Büro StadtBauPlan aus Darmstadt für sich entschied.

Im Frühjahr 1981 waren die genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen und erste Anlieger begannen mit der Errichtung ihrer neuen Gebäude. Diese waren 1983 bezugsfertig. 1984 wurde eine Fachfirma mit dem Ausbau der Straße betraut und 1987 konnte mit der HEAG eine Regelung für die Bahntrasse vereinbart werden.

Im Juli 1988 zog die von Fritz Schwarzbeck geschaffene Bronzestatue der „Griesheimer Marktfrau“ von der Außenanlage am Rathaus auf den Marktplatz um. Der neue Marktplatz und sein Brunnen - eine Stiftung der Volksbank - wurden am 23. Juli 1988 eingeweiht. Sechs Tage später schlug dann der Wochenmarkt erstmals seit der Wiedereinrichtung 1975 seine Stände nicht am Georg-August-Zinn-Haus auf, sondern auf dem neuen Marktplatz.

Im Juni 1990 war das eigene Gleisbett für die Straßenbahn fertiggestellt und die dem Verkehr entgegenkommende Straßenbahn war somit Geschichte. Damit war der erste Abschnitt der Innenstadterneuerung abgeschlossen.

Die Stadtverordnetenversammlung musste in den Jahren der Planung mehrmals den Bebauungsplan anpassen bis 1991 ein neuer Plan alle Änderungen zusammenführte.

Nachdem die Südseite der Wilhelm-Leuschner-Straße ein modernes Gesicht erhalten hatte, begann die Planung für die Nordseite. Auch hier mussten Grundstückskäufe geregelt und baurechtliche Belange geklärt werden. Das Sparkassengebäude prägt bis heute den Marktplatz und beeinflusst maßgeblich die Gestaltung der benachbarten Bebauung.

Die markantesten neu errichteten Gebäude in der Wilhelm-Leuschner-Straße sind das Eckhaus an der Friedrich-Ebert-Straße, in dem sich der Edeka-Markt befindet, und das Wohnhaus an der Pfungstädter Straße, wo sich vor vielen Jahren die Post befand. Beide wurden im Herbst 2021 fertig gestellt.

Weiter westlich konnte die Stadt 2001 unter anderem das Grundstück zwischen Hintergasse und Schulgasse mit dem Riedhof erwerben. Das alte Gebäude wurde im Oktober 2020 wegen Baufälligkeit abgerissen. Die weitere Entwicklung des Areals ist derzeit noch offen. Denkbar wäre eine Weiterführung der Straßenbahntrasse, die Bebauung mit einem Gebäude, das den Ortseingang markiert, oder eine ganz andere Lösung.

Die großzügige Anlage der Straße befördert ihre Funktion als Verkehrsweg. Sie trennt die Stadt in einen südlichen und einen nördlichen Teil und erschwert die Herausbildung eines urbanen Zentrums. Im Wintersemester 2021/22 realisierte die Hochschule Darmstadt unter der Leitung der Professorinnen Dita Leyh und Dr. Birte Frommer am Fachbereich Architektur ein interdisziplinäres Masterprojekt mit dem Slogan: „Wo ist die Mitte? Bin ich schon drin?“. Die Studierenden erarbeiteten in Abstimmung mit der Stadt Griesheim verschiedene Szenarien für die weitere Entwicklung der Innenstadt und zeigten einzelne Maßnahmen im Entwurf auf. Damit setzte eine erste Überlegungsphase zur Neugestaltung einer Griesheimer Mitte ein.

Literatur

Franz, Eckhart G: Darmstadts Geschichte. Darmstadt, 1980

Knapp, Karl: Der Weg zur neuen City. Über das Griesheimer „Jahrhundertprojekt“. Broschüre, Griesheim 1991

Schneider, Gesine: Rheinstraße und Luisenplatz. Beiträge zum Denkmalschutz in Darmstadt, Heft 7. Hrsgg. Vom Magistrat der Stadt Darmstadt, 2000

Rohmig, Klaus: 1808: Von der Lutherkirche zur Stadtkirche: 7.749, 538 Meter. Vortragsmanuskript vom 24.1.2003 (StAG)