Wagenhalle

1928 Bau von Wagenhalle, Gleichrichterhaus und Stationsgebäude durch das Büro Markwort und Seibert, Darmstadt

1960 Umbau mit Gleisschleife und Ausfahrt der Linie 9A

1984 Erwerb der Wagenhalle durch die Stadt Griesheim. Bis 1986 Umbau zur Veranstaltungshalle für bis zu 400 Gäste

 

Halle: 50 x 18,6 Meter für 5 Gleise

Gleichrichterhaus: 13 x 9 Meter

Stationsgebäude: 10 x 13 Meter

 

Seit 1886 fuhr die Dampfstraßenbahn zwischen Darmstadt und Griesheim. Für die Darmstädter Innenstadt baute man eine elektrisch betriebene Bahn auf: Im November 1897 fuhr die erste „Elektrisch“ durch Darmstadt. Beide Systeme, Dampf und Elektrische, liefen unabhängig voneinander nebeneinander. Die Dampfbahn wurde von der Süddeutschen Eisenbahngesellschaft (SEG) betrieben, die „Elektrisch“ von der Stadt Darmstadt. Konflikte um die Fahrplangestaltung und um Tarife gab es daher reichlich. Der Neubau des Hauptbahnhofs 1912 führte zur Gründung der Hessischen Eisenbahn Aktien Gesellschaft (HEAG), in der die SEG aufging. Fortan war ein Ziel, auch die alten Strecken nach Arheilgen, Eberstadt und Griesheim zu elektrifizieren. Kurz vor Kriegsausbruch gelang dies für die Verbindung nach Eberstadt.

Nach dem Ersten Weltkrieg lagen Arheilgen und Griesheim im französisch besetzten Gebiet (Mainzer Brückenkopf). Die Grenze zu Griesheim verlief zwischen Waldfriedhof und Otto-Hesse-Straße. Kohlemangel und hohe Betriebskosten führten zu Preissteigerungen und Personalabbau. Schließlich war der Betrieb unrentabel geworden und der Straßenbahnbetrieb nach Griesheim wurde zum 1. April 1922 eingestellt. Den Bürgern stand nun nur noch die billigere Staatsbahn zur Verfügung mit Verbindungen über Darmstadt nach Mainz oder Frankfurt und über Goddelau nach Worms. Die Anwohner am Truppenübungsplatz und der Siedlung Tann hatten keinen Anschluss mehr.

Der Darmstädter Teil der Strecke bis zum Waldfriedhof erhielt 1923 eine Stromanbindung, 1924 folgte die alte Arheilger Dampfbahn-Strecke bis zu Merck. 1926 war die Strecke nach Griesheim an der Reihe: Für die „Elektrisch“ wurde die Versorgungsstelle vom Platz direkt an der Neuen Schule, dem heutigen Georg-Schüler-Platz, (dort hatte es Kohle und Wasser für die Dampfbahn gegeben) weiter nach Osten verlegt. Am 3. Oktober (Hauptstrecke) und am 30. November 1926 (Teilstück bis zum westlichen Ende) fanden die technischen Abnahmen statt und nun fuhr die Bahn die Strecke über die Hauptstraße bis zum Gemeindehaus, dem heutigen Platz Bar-Le-Duc.

Für den Betrieb der Dampfzüge hatte man Kohle und Wasser gebraucht. Jetzt wurden eine Halle für die Elektrisch und ihre Wagen, ein Stationsgebäude für Kunden und Mitarbeiter mit einer Wohnung für den Aufsichtsbeamten und ein Gebäude zur Aufnahme der Groß-Gleichrichteranlage gebraucht.

In Arheilgen und Griesheim schuf das Darmstädter Architekturbüro Markwort und Seibert ab 1924 zwei höchst ähnliche Gebäudekomplexe. 1928 waren beide fertig. Am damaligen östlichen Stadtrand Griesheims entstand die Wagenhalle. Das Büro Markwort und Seibert war das führende Büro in Darmstadt für viele Bauaufgaben der Zwischenkriegszeit: Privathäuser im Paulusviertel gehören zu ihren Werken wie auch das Laborgebäude von Merck (1928), das Alicen-Hospital (1935/36) oder eben die Bauten für die HEAG.

Das Griesheimer Ensemble ist ein besonderes Industriedenkmal. Die Halle aus braunen Ziegeln liegt mit ihrer Schauseite zur Straße. Sieben Joche mit jeweils als Dreiergruppe geordneten schmalen hohen Fenstern bilden das Gegenstück zu horizontalen Ziegelbändern. Mit den Ziegeln wird die Oberfläche gestaltet: Senkrechtstellung als Sockelkennung und über den Fenstern, plastische Elemente in Bandform und unter dem Dach. Absetzungen an Fensterbrüstung und im Dachbereich durch hellen Sichtbeton beleben die Wand.

An den Fassaden im Osten und Westen bilden Betonstützen fünf Joche. Darin liegen die Tore. Vergitterte Rautenfenster sorgten für Luft und Licht, die Dreiecke oben in den Türen waren der Durchlass für die Stromkabel. Moderne Gelenkbahnen machten eine Gleisschleife nötig und so wurde 1960 die Halle erstmals umgebaut, die vier westlichen Tore geschlossen und das südliche Tor verbreitert, damit die Linie 9a zum Koch-Schulhaus ausfahren konnte. Von Osten führten fünf Gleise in die Halle. Für die modernen Wagen mussten die Tore 1960 beim Umbau verbreitert werden. Hierfür wurden die alten Eisenbetonstützen durch 13cm breite Stahlstützen ausgetauscht, was den Platzgewinn brachte. Das auskragende Vordach überdeckt somit nicht mehr die volle Torbreite.

Die Fassaden werden jede von einem breiten Treppengiebel mit einem halbrunden Fenster abgeschlossen. Die Architektur wurde offenbar angeregt durch die 1921/22 in der Darmstädter Landwehrstraße wieder aufgebaute Zeppelinhalle. Sie hatte von Jan Hubert Pinand eine moderne Fassade vor dem Satteldach erhalten. Breite, abgetreppte Simse mit Sichtbetondeckel betonen die Horizontale.

Ungewöhnlich zeigt sich an der Nordseite der Halle eine Überdachung. Sie bot dem Marktzug Schutz. Hier brachten die Marktfrauen ihre Körbe in Regalfächern für die Fahrt nach Darmstadt unter. Die moderne Pflasterung erinnert daran.

Sieben Drei-Gelenk-Giebelrahmen tragen die Hallenkonstruktion. Der 8. Rahmen im Westen besteht aus Eisenbeton und Ziegelmauerwerk. So kommt es zum Giebelrahmen hinter der Westfassade. Die Halle war für 24 Wagen konzipiert. Die beiden südlichen Gleise hatten Revisionsgruben für einfache Wartungsaufgaben. Sie waren ursprünglich etwa 16 Meter lang. 1960 wurde die südlichste auf 40 Meter verlängert.

Das Dach weist eine Neigung von 15° auf. Es bestand aus Beton-Kassetten-Elementen mit einer Bitumendichtung. 3 Felder im Dach waren verglast zum Oberlicht für die Arbeiter.

1984 gab die HEAG die Wagenhalle auf und die Stadt Griesheim als neue Eigentümerin baute sie zur Festhalle um. Für die Nutzung als Veranstaltungsraum wählte man Holzpflaster in Gussasphalt für den Boden; Beleuchtung, Lüftung, Heizung und Toiletten wurden ein- bzw. angebaut. Der Raum erhielt an der Westseite eine Bühnenempore und eine Küche.

Eine Ziegeleinfriedung verband die Halle mit dem Stromhaus (hier lagen Gleichrichter, Trafo und Werkstätten), das ebenfalls aus dem zeittypischen Material mit seiner Musteranordnung gemauert war. Mit seinem Walmdach leitet es über zum giebelständigen Stationshaus mit Satteldach. Das Haus wird geprägt von hellen Putzflächen, die mit Ziegeln abgesetzt wurden, im Giebel als Rautenmuster. Diese Ziegel zeigen die Zugehörigkeit des Hauses zum Ensemble. Das Stationsgebäude hat die Dimensionen eines normalen Griesheimer Hauses. Damit stellt das Haus die Verbindung zur Bebauung am Ort her. Das ist durch den Postblock leider nicht mehr sichtbar. Ein Arkadengang auf der Südseite bot den Fahrgästen Schutz vor Regen und Sonne. Hinter den Fenstern unter den Arkaden lagen ein Kassenraum und ein Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter. Im oberen Stockwerk lag die Wohnung für den Aufsichtsbeamten, drei Zimmer, Küche, Bad. Das Stationsgebäude wurde verschiedentlich genutzt. Seit etwa 20 Jahren befindet sich ein Bistro-Café darin.

Die Gesamtanlage bildet ein Beispiel der expressionistischen Architektur der Zwischenkriegszeit. Material und Bauschmuck einerseits, Funktionalität andererseits wurden herausragend kombiniert. Der Erhaltungszustand ist sehr gut, weil der Bau nicht kriegszerstört war. Insgesamt besticht der Komplex durch das hohe Maß an originaler Bausubstanz und dem achtsamen Umgang damit bei den Veränderungen für die Umnutzung. Wo sonst hat man noch die originale Decke? Alte Schienenstränge erklären die ursprüngliche Nutzung. Ein moderner Funktionskasten entlang der Nordseite greift die Marktwagensituation auf, eine schöne Idee, der Raumnot zu begegnen. Die modernen Pfeiler verbinden wie einst optisch die Häuser.

Literatur

NGA 1. und 5. April 1922

Hinkel, Ernst: Die HEAG-Wagenhallen in Arheilgen und Griesheim. Seminararbeit, Darmstadt 1987 (Stadtarchiv Griesheim)