Truppenübungsplatz
Griesheim war im Laufe seiner Geschichte wiederholt Durchzugsort für verschiedene Soldatengruppen. Von einer regelrechten Stationierung wird im 18. Jahrhundert berichtet. Damals war hier eine Kompanie Dragoner angesiedelt. Ihr Übungsplatz und Aufenthaltsort lag, wie Heimatforscher Karl Knapp ermittelte, auf einem Gelände nördlich des Ortes, etwa im Bereich der heutigen Bahnhofstraße.
Wenn man heute vom „Schießplatz“ oder „Truppenübungsplatz“ spricht, ist das etwa 800 Hektar umfassende Areal im südöstlichen Teil der Gemarkung gemeint. 1937 wurde ein Teil davon zur Darmstädter Gemarkung ausgemeindet. Die Bezeichnungen für das Gelände veränderten sich im Laufe der Geschichte und der Nutzung und entsprechend ist es im Griesheimer Sprachgebrauch auch unter verschiedenen Stichworten vertreten: Griesheimer Sand, Schießplatz/Truppenübungsplatz, August-Euler-Flugplatz, Konversionsfläche/Griesheimer Anger. Seit 1992 steht das Areal unter Naturschutz.
Das Gelände mit seiner Steppenrasen-Vegetation entstand vor etwa 15 000 Jahren. Die Flugsandablagerungen machen es als Ackerland nur gering brauchbar, weshalb das Gebiet nur in geringem Maße landwirtschaftlich genutzt wurde.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden dort wiederholt kleinere militärische Übungen von hessischen und preußischen Einheiten statt. Am 2. Januar 1874 schloss die Gemeinde einen Vertrag mit der Preußischen Reichsmilitärverwaltung über die Nutzung des Areals als Schießplatz ab. In der Folge entstanden Bauten für die militärische Infrastruktur wie ein Übungsdorf, das man beschießen und erobern konnte, aber auch Unterkünfte und Kasinos für Mannschaften und Offiziere. Von der Straßenbahnlinie führte in Höhe des Dürren Kopfes ein Abzweig nach Süden. Gerade die Verbindung zum Darmstädter Bahnhof, bis 1912 noch am heutigen Steubenplatz gelegen, war wichtig, denn die Soldaten kamen aus dem ganzen Reich für ihre Manöver nach Griesheim. Um 1900 übten durchschnittlich 20 000 Mann auf dem Griesheimer Sand in unterschiedlichen Waffengattungen. Die Soldaten waren in Blechhütten untergebracht, die dem Lager den Spitznamen „Wellblechhausen“ eintrugen. Der Ort selbst hatte damals etwa 5000 Einwohner. Regelmäßig waren zwischen den Manövern „Kugelsucher“ unterwegs, meist junge Männer, die Metall und sonstige liegengebliebene Militaria einsammelten und weiterverkauften; ein großer roter Ballon wurde aufgezogen, wenn scharf geschossen wurde und das Betreten des Geländes lebensgefährlich war. Einige Griesheimer fanden Arbeit und Aufträge am Schießplatz. Am Rande des Schießplatzes etablierten sich im sogenannten „Wirtschaftsviertel“ Gaststätten, Cafés, ein Hotel, mindestens ein Bordell, Fotografen und andere Dienstleister. Ansichtskarten wurden gedruckt und in die Heimat versandt mit Nachrichten wie „Mir geht es hier gut. Ich habe Fritz getroffen. Ich komme nächsten Samstag mit dem Drei-Uhr-Zug nach Hause. Grüße die Nachbarn, Dein Heinrich“ oder ähnlichen Grußworten. Die Soldatengruppen ließen sich gerne zur Erinnerung an ihre Militärzeit fotografieren; heute zeugen nur noch diese Karten und Aufnahmen sowie die Namen einiger Gaststätten (Patronentasche, Kanone) von der Bedeutung des Truppenübungsplatzes.
Am östlichen Bereich des Schießplatzes hatte Ende 1908 der Frankfurter Unternehmer August Euler ein kleines Gebiet von der preußischen Armee gepachtet, um dort Versuche mit motorisierten Flugzeugen durchzuführen. Er errichtete einen Hangar und unterhielt neben einer Werkstatt auch eine Flugschule. Hier entstand der erste deutsche Flugplatz. In den folgenden Jahren existierten die beiden Einrichtungen nebeneinander.
Der Flugplatz wurde ab dem 1. Oktober 1912 zur Fliegerstation der preußischen Armee und auf dem Schießplatz fanden Schulungen für Ersatztruppen statt. Nach Kriegsausbruch im August 1914 wurde ein Kriegsgefangenenlager eingerichtet. Im August 1914 lebten bis zu 3000 französische kriegsgefangene Soldaten und Offiziere in diesem Lager, bis sie auf andere Orte in Deutschland verteilt wurden. Für weitere Kriegsgefangene musste die Kapazität erhöht werden und so entstand ab September 1914 südlich des heutigen Hauswegs und östlich des Hegelsbergs ein Barackenlager für bis zu 10 000 Personen. In der französischen Armee kämpften auch Bewohner aus den afrikanischen Kolonien, zur britischen Armee gehörten auch schottische Verbände in traditionellen Uniformen. Russen, Italiener und später Amerikaner brachten sicher ebenfalls einige Besonderheiten mit. Diese multikulturelle Gefangenengesellschaft war eine Attraktion und lockte an den Wochenenden der ersten Kriegsmonaten Scharen von Schaulustigen an den Zaun des Lagers. Die Kriegsgefangenen wurden als Helfer in der Landwirtschaft eingesetzt.
Nach dem Waffenstillstand im November 1918 durften die Angehörigen der Entente in ihre Heimatorte zurückkehren. Das Barackenlager südlich des heutigen Hausweges wurde aufgegeben. Der Versailler Vertrag bestimmte die Kontrolle des Rheinlandes durch die Franzosen bis zu einer Pufferzone von 50 Kilometern am Rhein. Griesheim lag im französisch besetzten Gebiet; die Grenze verlief zunächst in Höhe des Waldfriedhofs. Bis zum Jahresende 1918 musste die Entmilitarisierung des Gebietes vollzogen sein. Nun nutzten die französischen Besatzungssoldaten das Militärlager. Offiziere bevorzugten Unterkünfte in Privathäusern, die sie requirierten. Die deutsche Fliegerei war auf zivile Bereiche begrenzt; der Segelflug konzentrierte sich auf der Wasserkuppe, der Luftverkehr wich auf die Lichtwiese aus. Im Sommer 1930 zogen die letzten Franzosen aus Griesheim ab. Der Flugplatz wurde erneuert und am 3. August bestaunte man die Landung eines Zeppelins.
Nach dem Abzug der Franzosen siedelten sich am Flugplatz verschiedene Vereine und Institutionen aus der Fliegerei an. Ab 1935 war der Flugplatz ein Standort der Luftwaffe. Das Flugplatzgelände wurde 1937 auf Verfügung des Reichstatthalters der Gemarkung Darmstadt zugeschlagen. Fortan stand der ehemalige Truppenübungsplatz ausschließlich im Zeichen der Fliegerei. 1939 wurde der Flugplatz umzäunt, ebenso nach dem Anschlag durch die RAF auf den Frankfurter Flughafen 1985.
1948 kam zwischen Heimatvertriebenen aus dem Banat und der Batschka auf der einen Seite und der Stadt Darmstadt auf der anderen Seite auf Vermittlung des kirchlichen Hilfswerks die Einrichtung einer Siedlung für Donauschwaben zustande: St. Stephan wurde gegründet und wuchs am Rande des ehemaligen Schießplatzes. Die gesamte Infrastruktur für die Siedlung kam aus Griesheim. 1977 kam im Zuge einer Gebietsreform der Stadtteil St. Stephan zu Griesheim. Auf dem Land des ehemaligen Schießplatzes wachsen seitdem Spargel und Erdbeeren.
Literatur
Eckstein, Ursula: August-Euler-Flugplatz Darmstadt. Darmstädter Schriften 94. Darmstadt, 2008
Knapp, Karl: Griesheim. Von der steinzeitlichen Siedlung zur lebendigen Stadt. Griesheim, 1991