Synagoge
Hintergasse 11, verwüstet 1938, abgebrannt 1944
Nachweislich lebten seit dem Jahr 1658 Juden in Griesheim. Eine jüdische Gemeinde gab es seit dem 18. Jahrhundert. Vermutlich lag im sogenannten „Judenhof“ in der Oberndorfer Straße unweit des alten Rathauses das geistige Zentrum der kleinen Gemeinschaft. Spätestens 1812 erwarb die Gemeinde ein Anwesen in der Hintergasse 11 zur Nutzung als Synagoge. Auf dem Grundstück lag ein Wohnhaus, das als Versammlungsstätte, Schule und Wohnung diente. In einem Nebengebäude wurde ein Frauenbad eingerichtet. Nach einem Umbau 1902 verfügte die Synagoge über 57 Plätze für Männer und 30 Plätze für Frauen.
In der Pogromnacht 1938, in der das nationalsozialistische Regime deutschlandweit Gewaltmaßnahmen gegen Juden organisierte, wurden die Räume erstürmt, geplündert, verwüstet und alles Mobiliar beschädigt, Glas zertrümmert. Die Kultgegenstände wurden vernichtet. Das Gebäude selbst überstand die Nacht, weil die dichte Bebauung ein Feuer nicht ratsam machte.
Das unbenutzbare Gebäude kaufte die bürgerliche Gemeinde Griesheim 1939 von der Jüdischen Gemeinde. Bei einem Luftangriff am 26. August 1944 wurde die ehemalige Synagoge jedoch zerstört. Heute befindet sich ungefähr an der Stelle ein Parkplatz. Eine Gedenktafel weist auf das einstige Gebäude hin. 1940 wurde die Hintergasse durchbrochen. Dadurch änderte sich die Nummerierung der Grundstücke und aus der alten Nummer 11 wurde Nummer 8.
Die Griesheimer Gemeinde war orthodox und gehörte zum Darmstädter Rabbinat II. Die Griesheimer bestatteten ihre Toten in der Regel auf dem Jüdischen Friedhof in Groß-Gerau. Eine Beerdigungsbruderschaft nahm sich der Pflichten hierzu an.
Jüdische Gemeinde
Die Gemeinde wuchs seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stetig an. Mitte des 19. Jahrhunderts war ein Höchststand von 195 Angehörigen erreicht. Nicht zuletzt durch Auswanderungen nahm ihre Zahl wieder ab und lag in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei dem für Landgemeinden in Deutschland üblichen Anteil von 1,2% an der Gesamtbevölkerung. Die jüdischen Familien wohnten an verschiedenen Orten im Dorf. Sie waren Weltkriegsveteranen, Sportlerinnen und Sportler, Schülerinnen und Schüler. Einer der Ärzte war Jude, ein Uhrmacher lebte zeitweise hier. Es gab Metzger und Bäcker, aber die meisten jüdischen Familien verdienten ihren Unterhalt im Handel: Vieh, Kohle, Altwaren, Textilien, Schuhe waren ihr Metier. Entsprechend führten die Handelseinschränkungen ab 1933 zum Niedergang der Geschäfte und die Familien verloren ihre Existenzgrundlage. 1933 lebten in Griesheim 83 jüdische Mitbürger. Acht von ihnen verstarben hier. Alle anderen verließen Griesheim bis 1940; Heirat oder berufliche Veränderung waren seltene Gründe dafür. Einige Griesheimer Juden suchten in Darmstadt, Frankfurt oder bei Verwandten Unterschlupf, einige traten die Reise nach Übersee an. Bis Mai 1945 wurden 21 Griesheimer Juden ermordet. In Sobibor, Lodz, Dachau, Hadamar, Piaski, Riga, Raasiku, Minsk verlieren sich ihre Spuren. Der Darmstädter Güterbahnhof war für einige das letzte, was sie von Hessen sahen. Drei Menschen starben infolge der besonderen Umstände. Eine solche Statistik bildet nicht ab, unter welchen Folgeschäden die Überlebenden ihr Leben lang zu leiden hatten. Sie gelangten in die USA, nach Südafrika und Palästina.
Stolpersteine
Im Jahr 2010 regte eine Schulklasse der Gerhart-Hauptmann-Schule die Verlegung von Stolpersteinen durch den Künstler Gunter Demnig vor dem ehemaligen Kaufhaus Löb in der Groß-Gerauer Straße an. Zwischen 2010 und 2018 verlegte er an elf Stellen in Griesheim 41 Stolpersteine für Mitbürger, die unter den Nationalsozialisten gelitten hatten, nämlich vor den Häusern Groß-Gerauer-Straße 18, Hintergasse 2, Karlstraße 5, Kreuzgasse 2, Oberndorfer Straße 68, Pfungstädter Straße 14, Pfungstädter Straße 23, Wilhelm-Leuschner-Straße 18, Wilhelm-Leuschner-Straße 19, Wilhelm-Leuschner-Straße 20, Wilhelm-Leuschner-Straße 22. Eine Familie wollte keine Gedenksteine für sich, denn „wir haben ja überlebt“.
Literatur
L’chaim. Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg Hrsg. Thomas Lange. Reinheim, 1997
Jakowski, Heike: Jüdische Lebensgeschichten aus Griesheim 1658-1940. Griesheim 2018