Museum
Museum, Groß-Gerauer-Str. 18-20
Das Museum wird vom Verein „Heimatmuseum Griesheim e.V.“ betrieben. Der Verein wurde 1999 mit starker Unterstützung aus der Bürgerschaft und der Politik gegründet. Er zählt mit etwa 600 Mitgliedern zu den größeren Vereinen der Stadt.
Der heutige Museumskomplex entstand 1996 aus dem Zusammenschluss von drei Grundstücken. Die Baumaßnahmen waren mit der Ausweisung des Sanierungsgebietes „Am Kreuz“ seit 1990 vorbereitet worden. Auf dem Grundstücken befinden sich das Loeb‘sche Wohn- und Geschäftshaus, das Neuwirt‘sche Haus mit Schankraum sowie die landwirtschaftliche Scheune und die Kulturscheune, auch „Storchennestscheune“ genannt. Im September 2006 schloss die Stadtverwaltung einen Gestattungsvertrag mit dem Museumsverein, der die Nutzung des Komplexes regelte und Ausstellungen, Rundgänge und die Pflege des Anwesens vorsah. Die Bebauung des Areals war im Jahr 2009 abgeschlossen.
Haus Loeb, Wohn- und Geschäftshaus, Groß-Gerauer-Straße 18, erbaut 1904
Von der Straße aus fällt zunächst das große Wohn- und Geschäftshaus auf: „Schaufenster-Museum“ steht auf den großen Scheiben. Heute dient der Raum dem Museum für Ausstellungen und Vorträge.
Das Gebäude wurde in den Jahren 1903 und 1904 anstelle eines älteren Hauses errichtet. Baumeister war Georg Gerhardt (1875-1951). Von ihm stammen ebenfalls die Griesheimer Häuser Wilhelm-Leuschner-Straße 5, Wilhelm-Leuschner-Straße 13 und Bessunger Straße 51 sowie das Haus in der Darmstädter Gutenbergstr. 14.
Das imposante Haus in der Groß-Gerauer Straße besteht aus einem Sockelgeschoss mit großen Schaufenstern. Hier wurden einst Stoffe und Textilien verkauft. Darüber liegen ein Wohngeschoss und ein Dachgeschoss. Während die Fassade des Erdgeschosses gänzlich aus rotem Sandstein besteht, setzt er im Obergeschoss nur Akzente: Simse, Pilaster, Fenster und plastische Elemente aus dem roten Stein heben sich von der Wandfläche ab. Das ausgebaute Dachgeschoss zeigt in jeder Achse einen anderen Ausbau: Südlich ein Zwerchgiebel mit darüber liegendem Spitzbogenfenster, mittig eine mit Holzschindeln verkleidete Dachgaube über der Traufe und nördlich die Verkleidung der Wand mit Holzschindeln, was an Landhausarchitektur erinnert.
Figürliche und ornamentale Bauplastik bereichert die Fassade. Neben dem Eingang weisen Wappensteine auf den Bauherrn hin: W. L. für „Wolf Löb“. Aus der Fensterbekrönung des Doppelfensters in der südlichen Achse des ersten Stockwerks blickt dem Betrachter Merkur, zu erkennen an seiner Flügelhaube, entgegen. Er ist der Gott der Händler und Kaufleute, passt also gut zum Bauherrn, dem Textilhändler Wolf Loeb. Sein Vater Löb Löb hatte das Grundstück 1872 erworben und dort eine Ölkuchenhandlung betrieben. Wolf Loeb (1844-1909) trat ab 1865 als Händler für verschiedene Waren in Griesheim auf. Zum Sortiment gehörten Stoffe und Kleider für den täglichen Bedarf, aber auch für Konfirmationen und Feiertage konnten die Griesheimer hier fündig werden. Außerdem unterhielt die Firma eine Bettfedernreinigung. Das Haus selbst und die regelmäßige Werbung im „Neuen Griesheimer Anzeiger“ lassen erahnen, dass Loeb das „erste Haus am Platze“ war.
1877 wurde Sohn Ludwig geboren. Dieser führte das Geschäft bis zu seinem Freitod am 5. Juni 1938 fort. Familie Löb war jüdischen Glaubens. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstörte der Mob die Fensterscheiben und plünderte den Verkaufsraum. Der Enkel des Firmengründers, Otto Löb (1906-1947), zog sich nach Darmstadt zurück, wickelte alle Angelegenheiten in Griesheim ab und floh 1940 in die USA. Die „Firma Wolf Löb, Inhaber Ludwig Löb, Kleiderhändler, Hüte, Ellen- und Kurzwarenhändler“ erlosch am 21. Dezember 1938, also sechs Wochen nach der verheerenden Nacht.
Das Haus wurde im November 1939 an den benachbarten Lebensmittelhändler verkauft. Von 1938 bis zu ihrem Ruhestand Mitte der 60er Jahre führten die Damen „Kirschner & Grieb“ das Textilgeschäft fort. In der Folgezeit erfuhr der Laden verschiedene Nutzungen.
1996 konnte die Stadt Griesheim das Anwesen erwerben.
Kulturscheune
Im hinteren Geländebereich befanden sich Garagen. An ihre Stelle wurde bei der Sanierung im Jahr 1998 die 1803 in der Groß-Gerauer-Straße 38 errichtete Scheune umgesetzt. Die zukünftige Nutzung für kulturelle Zwecke machte Veränderungen nötig, wobei der Charakter als Scheune sichtbar blieb. Das Architekturbüro Greulich führte im Zuge der Sanierungsmaßnahmen die teilweise Restaurierung und Anpassung an die neue Nutzung durch.
Die Scheune dient der Dauerausstellung des Museums. Sie steht außerdem als Außenstelle des Griesheimer Standesamts für Trauungen zur Verfügung.
Neuwirt’sche Hofreite, Wohnhaus mit Schankraum, Archiv, Groß-Gerauer-Str. 20
Die Bezeichnung „Neuwirt“ geht auf die Wiedereröffnung der Gastwirtschaft „Zum Goldenen Löwen“ vor 1879 durch den „neuen“ Wirt Heinrich Nothnagel in diesem Haus zurück.
Vor der Sanierung gehörten zu dem Anwesen das an der Straße stehende Fachwerkhaus mit einem Anbau, ein Schweinestall, Abort, eine Scheune mit einem Gewölbekeller, eine Sommerküche mit Lagerräumen und eine Remise. An dem Anwesen hatte es über Jahrzehnte keine baulichen Veränderungen gegeben. Das Fachwerkhaus vom Anfang des 18. Jahrhunderts wurde saniert. Ein Gefach an der Außenwand blieb unverputzt und zeigt den Aufbau der Füllung der Gefache. Der Schankraum im alten Gebäudeteil wurde wieder funktionstüchtig gemacht. 2005 rettete man die alte Theke aus der Gaststätte „Zum Waldfrieden“ des Inhabers Heinrich Herlemann in der Hofmannstraße 34 für den Raum. Der Anbau an das Fachwerkhaus konnte wegen seines baulichen Zustandes nicht erhalten werden. An seine Stelle trat ein moderner Funktionsbau, der in den Maßen und Proportionen die Einheit des Ensembles bewahren sollte. Hier entstand ein moderner Küchenraum mit einem vorgelagerten Küchenraum in historischer Anmutung. 2006 waren diese Baumaßnahmen abgeschlossen.
Bei den ersten Sondierungsarbeiten für die Sanierung tauchte ein Brunnen auf, der von der südlichen Außenmauer des Fachwerkhauses überbaut wurde und vor der Bebauung vermutlich zum nördlichen Nachbargrundstück gehörte. Der im Museumshof liegende Teil der Brunnenmauer wurde 2022 dank einer Spende rekonstruiert.
Im Obergeschoss befindet sich seit Mai 2006 das Stadtarchiv.
Landwirtschaftliche Scheune
Zur Neuwirt’schen Hofreite gehört die landwirtschaftliche Scheune aus dem Jahr 1879. Nach einer gründlichen Reinigung und einigen Instandsetzungsarbeiten beherbergt sie (landwirtschaftliche) Gerätschaften, die geringe konservatorische Ansprüche haben.
2021 wurde ein Zwischenboden für Lagerzwecke eingezogen.
Die Renovierung der Kulturscheune, auch „Storchennest“- oder „Stoikeneschd“-Scheune genannt, und der Neuwirtschen Scheune wurden im Jahr 2000 abgeschlossen.
Verbindungstrakt
Das rückwärtige Gebäude hinter der Remise barg eine Sommerküche, Waschküche und Futterküche. Das Gebäude war baufällig und nicht sanierbar. Gleichwohl gilt für das Gebiet der Ensembleschutz der Denkmalpflege. Daher bot sich der Neubau eines Funktionsbaus in den Maßen und in der Anmutung der alten Anlage an. 2009 konnten mit der Fertigstellung dieses Zwischentrakts die Baumaßnahmen im Außenbereich abgeschlossen werden. Dieser Neubau bietet Arbeitsräume im Keller, Spülküchen im Erdgeschoss und Lagerraum im Obergeschoss. Er ist mit dem Loeb‘schen Haus und der Kulturscheune verbunden.
Gärten
Mitglieder des Museumsvereins pflegen einen kleinen Kräutergarten zwischen den Scheunen sowie einen Blumen-, Obst- und Gemüsegarten auf einem südlich angrenzenden Grundstück.
Literatur
Knapp, Karl: Griesheim. Von der steinzeitlichen Siedlung zur lebendigen Stadt. Griesheim, 1991, S. 381f (Liste nach Bernhard Schnaars)
Kasten, Klaus-Dieter: Von der Hofreite zum Heimatmuseum. In: Festschrift 10 Jahre Museumsverein Griesheim, 2009, S. 13-19.
Jakowski, Heike: Jüdische Lebensgeschichten aus Griesheim 1658-1940. Griesheim, 2018, S. 169-180