Griesheimer Sand
Der Griesheimer Sandboden fällt auf, denn er erinnert an den feinen Wattsand am Meer. Tatsächlich befinden sich hier hunderte Meter mächtige Schichten, die über Jahrtausende zusammengetragen wurden. Es handelt sich um Flugsande, aufgehäufte Binnendünen, die in der Eiszeit entstanden sind, als stete Westwinde Sand aus den Kiesbänken des Ur-Rheins geblasen haben. Die Flugsande der oberrheinischen Tiefebene stammen ursprünglich aus den weit entfernten Kalkalpen und wurden allsommerlich mit breiten Schmelzwasserströmen erneuert.
Anschließend entwickelten sich in der waldarmen Nacheiszeit lichtliebende Steppenpflanzen in weiten Teilen Europas. Durch einige glückliche Umstände hat sich ein kleiner Teil des einzigartigen Lebensraums rund um Griesheim erhalten und somit besonders seltene Pflanzenarten Deutschlands. Die „Griesheimer Düne“ im Süden Griesheims, heute auf Darmstädter Gemarkung, ist der Rest dieser nicht vom Menschen überformten Landschaft. Hier lebt noch die kleine, farblos blühende Sand-Radmelde (Bassia laniflora) oder die Sand-Grasnelke (Armeria maritima ssp. elongata), das Sand-Steinkraut (Alyssum montanum gmelinii) und das stark gefährdete Badener Rispengras (Poa badensis), das in Deutschland nur noch hier ein nennenswertes Vorkommen hat.
Vielleicht sieht man der Griesheimer Düne ihre Besonderheit nicht so gleich an. Der Sandboden zeichnet sich mit seiner Herkunft durch einen hohen Kalkgehalt aus, der die Lebensgemeinschaft entscheidend mitbestimmt, macht er doch die Dünenvegetation rasenähnlicher und artenreicher als andere Dünengesellschaften. Seit dem Jahr 2000 hat das Gebiet mit dem August-Euler-Flugplatz den höchsten europäischen Schutzstatus Flora-Fauna-Habitat und ist seit 2004 Natura-2000-Vogelschutzgebiet.
Nur da das Gebiet lange als landwirtschaftlich minderwertig galt, konnte die Sandtrockenrasen-Pflanzengesellschaft überdauern, die einzige Nutzung war die Viehweide. 1840 konnte der Chemiker Justus von Liebig die wachstumsfördernde Wirkung von Düngestoffen nachweisen, aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts gelang ihre massenhafte Herstellung, die Ackerbau überall rentabel machte. Auch wurden die Binnendünen nicht aufgeforstet, in der Zwischenzeit nutzten Truppen das Gebiet als Übungsplatz: erst hessische Regimenter, dann preußische, französische, nochmals deutsche und schließlich amerikanische. Die Einrichtung des ersten Flugplatzes Deutschlands trug ebenso zum Erhalt der Pflanzengesellschaft bei.
Kennzeichnend ist die Anpassung der vielen Arten an Wärme und Trockenheit. Außerdem sind sie extrem lichtbedürftig und verschwinden immer mehr, wo Mensch und Vieh nicht mehr für offene Plätze sorgen. Nur ihre Genügsamkeit macht sie auf dem mageren Sandboden zum überlegenen Wettbewerber. Auf nährstoffreicheren und feuchteren Standorten unterliegen sie anderen Arten durch ihre geringe Konkurrenzkraft. Sand ist ein Extremstandort, ein Überleben funktioniert nur durch spezielle Fähigkeiten, wie einem tiefen und feinen Wurzelsystem, dessen Ausgestaltung entscheidet, ob Arten regenarme Zeiten überdauern oder nicht. Bei vielen Pflanzen magerer und trockener Standorte ist die unterirdische Biomasse im Verhältnis zur oberirdischen sehr groß und dauerhaft.
Die hohe Sonneneinstrahlung verlangt einen Austrocknungsschutz, der beispielsweise bei der Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium) durch feine Haare auf den Blättern bewirkt wird. Manche Arten sterben in trockenen Sommern oberirdisch teilweise ab, erholen sich aber wieder und verlegen Wachstumszeiten auf günstige, feuchte Perioden, die sie zum Vordringen nutzen. Auch bei einem Absterben kann sich eine Verjüngung durch die hohe Keimkraft aus älteren Samen und die Geschwindigkeit ihrer Entwicklung schnell wieder einstellen, verbreitet sich doch die Mehrzahl mit dem Wind. Da nicht alle Arten in Sandtrockenrasengesellschaften sehr alt werden, spielt überhaupt die Regenerations- und Ausbreitungskraft eine große Rolle. Das macht die unaufhörliche Dynamik dieser Pflanzengesellschaft deutlich und ist an einem stetigen mosaikartigen Ortswechsel zu beobachten. Von Jahr zu Jahr verschiebt sich das Gleichgewicht der Arten, ihre einmal errungene Position ist nichts Dauerhaftes.
Typisch ist das Blauschillergras (Koeleria glauca), das Haar-Pfriemengras (Stipa capillata), das Grauschneidige Federgras (Stipa pennata) und Duvals Schaf-Schwingel (Festuca duvalii). Hier gedeiht auch der Kugelköpfige Lauch (Allium sphaerocephalon), dessen Zierform in Gärten weit verbreitet ist. Es gibt seltene Moose wie Rhytidium rugosum, aber auch viele Pilzarten, deren Fruchtkörper weniger als 3 cm Durchmesser haben, sowie sogenannte Rentierflechten (Cladonia spec.), die ein völliges Austrocknen überstehen, wie die Gesprenkelte Becherflechte (Cladonia rangiformis) oder die Ast-Rentierflechte (Cladonia furcata ssp. subrangiformis). Weitere Flechten sind: Grubige Bartflechte (Usnea hirta), Blassgelber Schönfleck (Caloplaca cerina var. chloroleuca), Graue Krugflechte (Diploschistes muscorum), Bereifte Schildflechte (Peltigera rufescens) und Physcia aipolia (Blattflechtenart). Andere seltene Pflanzen sind: Steppen-Wolfsmilch (Euphorbia seguieriana), Sand-Thymian (Thymus serpyllum), Sand-Veilchen (Viola pupestris), Gelber Günsel (Ajuga chamaepitys), Ohrlöffel-Leimkraut (Silene otites), Gewöhnliches Nadelröschen (Fumana procumbens), Acker-Schwarzkümmel (Nigella arvensis), Kegelfrüchtiges Leimkraut (Silene conica), Zwerg-Schneckenklee (Medicago minima) und Sand-Fingerkräuter (Potentilla incana und Potentilla arenaria).
Wo Pflanzen weitgehend unbehelligt wachsen können, finden auch besondere Vogelarten Ruhepole für den Nestbau und die Aufzucht ihres Nachwuchses. Folgende geschützte Vögel können hier gefunden werden: Brachpieper (Anthus campestris), Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus), Kornweihe (Circus cyaneus), Merlin (Falco columbarius), Neuntöter (Lanius collurio), Heidelerche (Lullula arborea) und Wespenbussard (Pernis apivorus).
Auch zahlreiche Zugvögel können auf dem Griesheimer Sand beobachtet werden: Dohle (Coloeus monedula), Wachtel (Coturnix coturnix), Baumfalke (Falco subbuteo), Wendehals (Jynx torquilla), Raubwürger (Lanius excubitor), Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe), Braunkehlchen (Saxicola rubetra), Schwarzkehlchen (Saxicola rubicola) und Wiedehopf (Upupa epops).