Gebrüder Müller Griesheim
GMG. Kleinflugzeuge für Pioniere
Georg Müller VII. gründete am 2.6.1882 in Griesheim eine Schreinerei für Möbel, die 1893 um einen Möbelhandel erweitert wurde. Sie bestand bis zum Jahresende 1989, zunächst in der Groß-Gerauer-Str. 24, dem heutigen Bürgerhaus am Kreuz, zuletzt mit der Fertigung von Türen und Fenstern auf dem Grundstück „Am Bahnhof 25-29“.
Die Begeisterung, die um 1900 für die Fliegerei aufkam, ergriff auch Familie Müller. Als Zulieferer für die Flugzeuge, die August Euler entwickelte, machte sich die Schreinerei einen guten Namen. Während des Ersten Weltkrieges wurden die versierten Schreiner zur Reparatur von Feldflugzeugen zwangsverpflichtet. 1918 bis 1930 lag Griesheim im französischen Besatzungsgebiet, wo die Weiterentwicklung an motorisierten Flugzeugen nicht erlaubt war. Die motorisierte Fliegerei wich auf den improvisierten Flugplatz auf der Darmstädter Lichtwiese aus.
Am Griesheimer Flugplatz widmete man sich dem Segelflug. Bereits 1913 war an der Großherzoglichen Technischen Hochschule ein Lehrstuhl für Luftschifffahrt und Flugtechnik geschaffen worden. Die Wasserkuppe in der Rhön und Rossitten in Ostpreußen waren die Zentren für den deutschen Segelflug. Die Rhön-Rossitten-Gesellschaft bündelte seit 1925 die Interessierten rund um Forschung und Entwicklung; die Gesellschaft ging 1927 auf in der Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug. Deren Sitz war von 1933 bis 1939 auf dem Griesheimer Flugplatz. Seit 1920 befassten sich Darmstädter Studenten in der Akaflieg mit der Fliegerei und 1926 kam Walter Georgii als Luftfahrt-Meteorologe an die TH. Kurzum: Aus dem alten Traum vom Fliegen wurde binnen kürzester Zeit Realität; das Thema lag in der Luft. Beim Bau verschiedener erfolgreicher Modelle waren die Gebrüder Müller beteiligt (Darmstadt I, Württemberg, Darmstadt II). Ab 1925/26 fertigten sie in Lizenz Segelflugzeuge für den Schulbetrieb, den sogenannten „Zögling“.
Auf der Rhön und in Rossitten experimentierte man seit 1923/24 mit Seglern mit Hilfsmotor. Die Nähe zu den Ingenieuren der Akaflieg verschaffte der Schreinerei den Auftrag zum Bau eines kleinen Motorflugzeugs, das 1927 die Typenprüfung ablegte. Bis 1929 baute GMG insgesamt 17 Flugzeuge der Typen GMG I, GMG Ia und GMG II. Die kleinen wendigen Maschinen waren bei Vereinen und im Ausbildungsbereich sehr beliebt. Basierend auf den Erfahrungen aus verschiedenen Unfällen wurde jedes Flugzeug modifiziert, so etwa durch Verstärkung von Streben, damit der Pilot dann doch ein Looping fliegen konnte, obwohl das vom Konstrukteur nicht vorgesehen war. Die Ursachen für die Unfälle lagen nämlich entweder in Bedienfehlern durch den Piloten oder beim ständigen Ärgernis „Motor“, denn im Nachkriegs-Deutschland war kein geeigneter und zuverlässiger Motor zu bekommen.
Die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre ließ die Nachfrage nach kleinen Privatmaschinen stagnieren. Die Schreinerei Müller fertigte nun Ersatzteile, Propeller und vermehrt Boote an und nahm andere klassische Schreinerarbeiten wahr.
Die Flugeigenschaften der GMG-Maschinen überzeugten 1929 den Ingenieur Fritz von Opel darin, ein solches Flugzeug für seine Versuche zum Raketenantrieb einzusetzen. Versuche zu Raketenautos hatte es bereits gegeben. Mit den Fahrten des RAK 1 am 11. April 1928 auf dem Opel-Testgelände und des RAK 2 am 23. Mai 1928 auf der Avus in Berlin hatte er die Fachwelt tief beeindruckt. Langfristiges Ziel der Ingenieure war es, eines Tages in den Weltraum fliegen zu können. Die nächste Entwicklungsstufe dahin nach dem Raketenauto war ein Raketen-Flugzeug, zunächst für Geschwindigkeiten bis 400 km/h und größere Höhen. Fritz von Opel sah die GMG II als geeignetes Basismodell an. Seine erste Bekanntschaft mit einem GMG-Flugzeug endete im April 1929 allerdings mit einem Crash, weil er als Pilot die Maschine bei der Landung zu hart aufgesetzt hatte. Trotzdem blieb er bei seiner Wahl und im Juni erläuterte von Opel gemeinsam mit seinem Ingenieur, wieder in Griesheim, seine Pläne. Sie wollten ein Flugzeug mit einem Flüssigkeitstriebwerk ausstatten und in die Luft bringen. Das Triebwerk war von Friedrich Wilhelm Sander entwickelt worden: Der Brennstoff Benzol und der Sauerstoffträger Stickstoff-Tetroxid wurden in eine Brennkammer eingespritzt, wo sich das Gemisch zum explosiven Antrieb verband.
In der Schreinerei wurde versuchsweise eine Antriebseinheit gebaut und getestet – was wegen starker Rauchentwicklung zu einem Feuerwehreinsatz führte. Fortan wurde der Firma untersagt, derartige Versuche im Ort (Groß-Gerauer-Str. 24) durchzuführen. Um nicht in aller Öffentlichkeit agieren zu müssen, setzte von Opel seine Entwicklungsarbeit auf dem Firmengelände in Rüsselsheim fort. Der Motor lieferte leider nicht den erforderlichen Schub und so hob das Flugzeug nie ab, sondern hoppelte nur über das Versuchsfeld der “Opel Renn– und Versuchsbahn” am Schönauer Hof zwischen Rüsselsheim und Trebur. Auf Anordnung seines Vaters sollte Fritz von Opel schließlich seine Versuche einstellen. Beim Bemühen, die Maschine an einen (dem Vater unbekannten) geheimen Ort zu bringen, wurde sie irreparabel beschädigt. Damit war das Thema „Raketenmotor“ für Opel zu Ende.
Literatur
www.roehrauto.de/Automobil-und-Technikgeschichte-Opel-Rennbahn.php
Jelnina, Tanja: Friedrich Wilhelm Sander – ein vergessener Raketenpionier. O.J. (Ende 1990er Jahre; Stadtarchiv Griesheim 2.2.8, N 124, 3-5)