Ausgrabungen

Jahrhundertelang wurden Relikte der Vergangenheit ignoriert oder in das Alltagsleben integriert, so etwa bei Ruinen, die als Steinlieferanten für andere Bauten herhalten mussten. Das gezielte Suchen nach Spuren aus der lokalen Vergangenheit setzte in Europa mit den Ausgrabungen in Ägypten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert ein. In Hessen widmete sich ein Grabungsteam damals der Erforschung der Saalburg. 1894 bis 1907 wurde sie rekonstruiert. Das Interesse an der systematischen Erforschung der Vergangenheit war in der Bevölkerung geweckt.

In der Griesheimer Gemarkung ließen bei Feldarbeiten um 1900 vereinzelte Funde von Steinwerkzeugen, Aschenurnen und Höckergräbern eine steinzeitliche Besiedlung unserer Gegend erahnen, fanden aber wenig Beachtung (1846 bronzezeitliche Aschenurnen am Eichwäldchen, seit 1904 wiederholte Gelegenheitsfunde an Raingasse/Büttelborner Straße, Haigernhof, Flachsgrabendamm). Seit dem 19. Jahrhundert war wiederholt von einzelnen Zufallsfunden berichtet worden; eine wissenschaftliche Erschließung erfolgte allerdings nur vereinzelt.

1926 fand man bei Arbeiten am Wasserwerk fünf Gräber der Glockenbecherkultur aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. Eines dieser Gräber, gerne als „ältester Darmstädter“ bezeichnet, ist im Hessischen Landesmuseum, Abteilung Vor- und Frühgeschichte, im Untergeschoss ausgestellt.

1935 stieß man beim Anlegen der Entwässerungsgräben im Münchsbruch auf Holzreste, die auf Pfahlbauten aus dem Mesolithikum hinweisen. Das ist der älteste Nachweis für eine Besiedlung Griesheims, etwa um 7000 vor Christus oder sogar noch früher.

1937 gefundene Grabbeigaben der Merowingerzeit aus einem Fund in der Rückgasse waren im Hessischen Landesmuseum verwahrt worden und fielen dem Feuer in der Brandnacht 1944 zum Opfer.

Ende der 1960er Jahre scharte sich um Karl Knapp und Georg Funk eine Gruppe begeisterter Heimatforscher. Rund um die Kernstadt forschte man nach Zeugnissen der Vergangenheit. In Feldbegehungen suchten sie in den folgenden Jahren nach Spuren früherer Siedlungen in und um Griesheim. Vom Wasserwerk im Süden bis zur Hohen Brücke wurden sie immer wieder fündig: Pfeilspitzen, Steinkeile, Mahlsteine, Keramik- und Glasscherben, Schmuck, Webzubehör, Nadeln, Messer, Tierknochen und mehr trug die Gruppe aus den verschiedenen Stellen zusammen. Die Funde reichen von Scherben der Bandkeramiker (um 5000 v. Chr.) bis in die Zeit der römischen Besiedlung im 2. Jahrhundert und belegen, dass diese Gegend schon lange besiedelt wurde.

Von herausragender Bedeutung wurde eine Grabung in der Rückgasse, die von Mai 1971 bis Ende 1973 zunächst von der Griesheimer Gruppe (Karl Knapp war als Vertrauensmann für Bodendenkmalschutz bestellt worden) begonnen wurde und von 1975 bis 1977 von Dr. Reinhard Andrae durch das Landesamt für Denkmalpflege weitergeführt wurde. Über 500 Gräber aus fränkischer Zeit (sechstes bis neuntes Jahrhundert) konnten freigelegt werden. Dabei traten Objekte zutage, die auf eine kleine Siedlung, vielleicht einen Hof, deuten, der bis zum Übergang vom Römertum zum Christentum bestand. Zu diesem Fundkomplex gehört auch das Grab, in dem man die Gewandfibel mit dem Namen „Agilatrud“ fand. Funde bei Erdarbeiten in der Pfützenstraße lassen vermuten, dass dort ein weiteres Anwesen lag; eine systematische Grabung wurde dort nicht durchgeführt.

Die Grabungsfunde werden beim Landesamt für Denkmalpflege in Wiesbaden verwahrt. Im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt und in den Vitrinen im Foyer des Griesheimer Rathauses sind einige Objekte, teilweise als Repliken, ausgestellt.

Literatur

Knapp, Karl: Griesheim. Von der steinzeitlichen Siedlung zur lebendigen Stadt. Griesheim 1990

Maran, Joseph: Die endneolithischen Fundstellen am „Griesheimer Moor“. Ein Beitrag zur Besiedlungsgeschichte der hessischen Rheinebene. Wiesbaden: Landesamt für Denkmalpflege Hessen, 1995 

Sowie in: Fundberichte aus Hessen 29/30 (2005)

Göldner, Holger und Hilberg, Volker: Griesheim, Kreis Darmstadt-Dieburg, Gräberfeld des 6. bis 8. Jahrhunderts : Ausgrabungen in dem merowinger- bis karolingerzeitlichen Reihengräberfriedhof "An der Rückgasse". 2. vollst. neu verf. Aufl. Wiesbaden : Landesamt für Denkmalpflege Hessen, 2000

Knapp, Karl: Gibt es eine Villa Rustica in Griesheim? In: GA vom 14.4.2001

Jens Martin Meier. Masterarbeit an der Universität Heidelberg zum Brandgräberfund aus der nordwestlichen Gemarkung in Griesheim. 2001 (Zitiert hier nach dem Artikel von Karl Knapp im GA vom 14. April 2001

Knapp, Karl: Die letzten Ruhestätten. In: GA vom 14.November 2009.